Mulch als Reisverschluss

In einem natürlichen Ökosystem ist der Boden durchwurzelt und bedeckt, dadurch wird die Bodenfruchtbarkeit erhalten und im Boden kann sich ein stabiles System einstellen. Auf landwirtschaftlichen Nutzflächen soll jedes Jahr stabil und verlässlich geerntet werden, dazu wird der Boden bearbeitet. Wie kann ein intensives Anbausystem wie der Gemüsebau von den natürlichen Abläufen lernen? Eine Gärtnerei im Westerwald hat sich auf die Suche nach der Antwort auf diese Frage begeben.

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Der Bio-Gemüsehof Dickendorf ist ein Betrieb der live2give gGmbH. Die gemeinnützige Gesellschaft mit christlichem Hintergrund startete 1999 mit einem Gesundkostladen sowie einer angeschlossenen Bäckerei und einer Lebensmittelmanufaktur. „Es ging vor allem um gesunde, pflanzliche Ernährung. Ich bezeichne das gerne als Vollwert­ pflanzlich“, sagt Johannes Storch, der seit 2013 hauptverantwortlich für den Gemüseanbau ist. Die von der live2give erwirtschafteten Erlöse fließen seit der Gründung in die Bereiche „Gesundheit, Bildung, Forschung“ zurück. So konnte der Betrieb über die Jahre ständig erweitert werden und blieb innovativ.

Die Gärtnerei wurde in den ersten Jahren von Rudolf Schmid betrieben, der auch heute noch auf den Flächen mitarbeitet. Wie sich zeigte, bestand in der Region ein großer Bedarf nach regional erzeugten, gesunden Lebensmitteln. So wird das Gemüse heute über mittlerweile zwei eigene Bioläden (Dickendorf und Gießen), Wochenmärkte, Restaurants sowie über einen Abokisten-Vertrieb vermarktet. „Wir könnten auch noch mehr produzieren. Der Bedarf wächst schneller als die Fläche“, sagt Johannes Storch und ergänzt: „Wir versorgen heute gemeinsam mit dem Biolandhof Schürdt aus Altenkirchen die Region mit Biogemüse und -produkten. Unsere Abnehmer kommen von Bergneustadt bis nach Neuwied aus einem Umkreis von 100 Kilometern.“

Johannes Storch ist Anfang 30 und arbeitete bereits während des Studiums der ökologischen Agrarwissenschaften in Witzenhausen auf dem Betrieb mit. „Ich komme nicht aus der Landwirt­ schaft. Als ich mich nach dem Abitur dann umgesehen habe, hat mich das schon überrascht, mit wieviel Wissen und Know-How der Beruf eigentlich verbunden ist. Da wollte ich das lernen“, blickt er zurück. Durch das Praktikum ergaben sich schnell Synergien zwischen Studium und der praktischen Arbeit auf den Flächen der live2give, so dass er schließlich auch seine Bachelorarbeit darauf ausrichten konnte. Nach dem Abschluss fing er schließlich als Leiter Gemüsebau in Dickendorf an.

Der Bio-Gemüsehof liegt umrandet von Wiesen und Wäldern inmitten des Westerwalds, im Dreiländereck Hessen, NRW und Rheinland-Pfalz. Der Gemüsebau ist für diesen Mittelgebirgsstandort eher untypisch. Durch den hohen Grünlandanteil an der landwirtschaftlichen Nutzfläche grasen hier eher Mutterkuhherden auf den Weiden. In den Mischwäldern zeigen sich die Folgen der vergangenen Jahre. Wo die Fichten nicht schon gefällt worden sind, sieht man sie noch in brauner Tracht stehen. Geschwächt von der Trockenheit hat den Nadelbäumen auch hier der Borkenkäfer den Rest gegeben. Im langjährigen Durchschnitt liegt die Temperatur bei eher kühleren 8,5 Grad, in den vergangenen fünf Jahren sind es hingegen rund 10 Grad über das Jahr gemittelt geworden. Während die Temperaturen nach oben kletterten, gingen die Niederschläge nach unten. Normalerweise kommt mit 1.000 mm pro Jahr mehr als ausreichend Regen, mit 600-800 mm/ a hat sich die Menge in den vergangenen Jahren aber fast halbiert, was vor allem in der Hauptvegetationszeit problematisch werden kann.

Der Westerwald ist Teil des Rheinischen Schiefergebirges. Das geologisch alte Rumpfgebirge wird in seinem nördlichen Teil vom vulkanischen Hochland aus tertiären Basaltdecken überlagert. Im Bereich von Senkungsräumen hat das Mittelgebirge in seinem flacheren Westteil den Charakter eines Hügellands. An der Betriebsstelle des Biogemüsehofes wird auf Lehmboden auf Pseudogley (25 BP) gearbeitet, „da haben wir 20 cm Ah-Horizont, wenn es hochkommt, nach 50 cm durchwurzelbaren Raum ist es dann dicht“, erklärt Johannes Storch. Die weiter entfernten Flächen sind Braunerden auf Basalt oder auf Ton-Schluff­-Schiefer mit bis zu 55 Bodenpunkten.

Die Betriebsflächen der live2give gGmbH wurden über die Jahre stetig erweitert und umfassen mittlerweile rund 12 ha. Die Schläge reichen von 0,4 bis 1,5 ha Größe und sind im Schnitt vier Kilometer vom Betriebsgelände entfernt. Von der Gesamtfläche sind brutto 7,5 Hektar für den Gemüseanbau eingeplant, die sich alternierend in 5,4 ha Gemüse und rund eineinhalb Hektar für die Gewinnung von Mulchmaterial aufteilen. Hinzu kommen drei Hektar Grünland sowie 2.000 m² Gewächshausfläche. Die Böden werden seit knapp zehn Jahren nichtwendend bearbeitet.

Als einschneidende Erfahrung und wichtigen Grund, um auf konservierende Bearbeitung umzustellen, bezeichnet Johannes Storch einen Winter kurz nach dem Start des Gemüseanbaus. „Zuvor hatten wir noch gepflügt. Der Winter war dann sehr nass und feucht, da ist uns einiges an Erde weggeschwommen.“ Deshalb wurde ein erosionsmindern­des und nachhaltigeres Anbausystem angestrebt. Nach einer ersten „Findungsphase“, in der Antworten auf die Fragen „Kompost- ja/ nein?“ sowie „Mulchen – ja/ nein?“ gesucht wurden, entschied man sich im Jahr 2011, die Mulch-Direktpflanzung für den betriebseigenen Gemüseanbau zu entwickeln und zu erforschen.

Ziel war dabei ein nachhaltiges Anbausystem, das einerseits einen intensiven Gemüseanbau mit hohen Erträgen und geringem Handarbeitsaufwand gestattet, andererseits aber auch die Bodenfruchtbarkeit verbessert. „Unser Ziel ist, dass der Boden dauerhaft durchwurzelt und dauerhaft bedeckt ist. Die Reduzierung der Bodenbearbeitung ist dabei nicht die Bedingung, sondern das Ergebnis von Bodenfruchtbarkeit“, erklärt Storch. So führt eine gute Bodengare zu einer besseren Durchwurzelung des Bodens, Verdichtungen werden aufgebrochen, so dass nach und nach die Gründe für eine intensive Bearbeitung wegfallen. Dazu musste der Boden aber zunächst aufgebaut werden. Wie geht das Team um Johannes Storch dabei vor?

„Um Gemüse ohne Bodenbearbeitung pflanzen zu können, ist die Bodengare die wichtigste Voraussetzung. Dazu werden im Herbst bei warmem und trockenem Boden Verdichtungen mit einem Tiefenlockerer aufgebrochen und die Gemüsebeete mit einem RTK-Lenksystem angelegt, um permanente Fahrspuren zu gewähr­leisten“, erklärt Johannes Storch. Zu Beginn der Umstellung wurde vor allem darauf geachtet, dass die Gemüsekultur bedeckt ist. In der Regel wurde dabei mit Grasschnitt vom Grünland als Transfer­ mulch gearbeitet. „Daraus entstand die Erkenntnis, dass wir keine dauerhaften Nehmer- und Geberflächen mehr haben sollten. Stattdessen wollten wir eine rotierende Fruchtfolge haben und intensiver fahren. Wir stellten uns die Frage: Wie intensiv können wir unsere Fruchtfolge so gestalten, dass sie sich selbst mit Mulch versorgt?“, erklärt Storch.

Auf den derzeit 7,5 ha Ackerland sind mittlerweile in jedem Jahr zwischen eineinhalb bis zwei Hektar mit Kulturen bewachsen, die als Mulchmaterial dienen. In der siebenfeldrigen Fruchtfolge stehen somit über fünf Jahre Gemüse, zwei Jahre sind der Biomasseproduktion vorbehalten (5:2). Der Mulchbedarf sowie der Entzug werden für die geplanten Kulturen stets in TM/ha vorberechnet. „Ziel ist es, dass es keine die Bodenfruchtbarkeit zehrenden Glieder mehr in der Fruchtfolge gibt“, erklärt Storch. So stehen im ersten Jahr beispielsweise Kohlarten wie Grün- oder Rosenkohl über den Winter. Nach der Ernte folgt ein Biomassejahr zur Erzeugung von Transfermulch.

Dabei wird im Frühjahr zunächst ein schnellwüchsiges Zwischenfruchtgemenge mit Hafer, Erbsen und Wicken gesät. Nach rund drei Monaten Vegetationszeit wird das Gemenge Anfang Juli als Mulch­ material geerntet (rund 7 t TM/ha) und anschließend Sudangras gesät. Dieses wird bei normalem Vegetationsverlauf Mitte September siliert (rund 14t TM/ha), wo­ rauf wiederum ein Roggen-Wintererbsen­ Wicken-Gemenge folgt, das als Zwischenfrucht über den Winter stehen bleibt.

Bei der Sortenwahl der Winterzwischenfrucht legt Storch Wert auf biomassestarke und langstrohige Getreidesorten. Neben dem Wechseltriticale Clayton PZO kommen als Roggen Bonfire und Protec­ tor in die Mischung. Generell strebt er ein Mischungsverhältnis von 55 % Getreide, 35 % Wicken und 10 % Wintererbsen (EFB 33) im Gemenge an. Die Aussaat erfolgt möglichst früh im Herbst, um eine optimale Entwicklung zu gewährleisten. Der Boden geht damit aus dem Winter mit einer optimalen Gare hervor, sodass eine weitere Bearbeitung im Frühjahr nicht erforderlich ist.

Kurz vor dem Pflanztermin im nächsten Frühjahr wird die gut entwickelte Zwischenfrucht bodennah abgeschlegelt, um eine Mulchschicht zu erzeugen. Dabei wird der Bestand (Beetbreite von 1,80 m) mit einem Schlegelmulcher UM 19 von Dücker (1,90 m Arbeitsbreite) bearbeitet und bringt bereits zwischen 7 und 10 t TM/ha. „Der Schlegelmulcher must die Zwischenfrucht nicht zu fein, was wichtig ist. Wir brauchen beim Mulch sowohl einen groben (Schnittlänge 10-15 cm) als auch einen feinen Anteil (Schnittlänge 0,5-1 cm). Dadurch haben wir am Ende eine stabile Matte, die einerseits die Oberfläche abdunkelt und andererseits eine gute Struktur hat, so dass der Luftaustausch mit dem Boden auch noch funktioniert. Am besten soll der Mulch beim Pflanzen wie ein Reißverschluss auf­ und zugehen“, führt Storch aus.

Ein Nachstreuen der Flächen mit Transfermulch ist dann nötig, wenn der Bestand noch nicht bis zur Vollblüte gekommen ist, nicht genügend Biomasse vorhanden ist oder zu viele Beikräuter zu finden sind. Es wird je nach Struktur des Materials eine gleichmäßige Auflage­ stärke von etwa 8 cm (etwa 15 t TM/ha) angestrebt. Ziel ist es, den Boden durchgehend abzudunkeln und damit jeglichen Durchwuchs von Beikräutern zu verhindern. Dadurch kann auf das sonst übliche Hacken der Bestände verzichtet werden. Außerdem schützt die Mulchdecke den Boden davor auszutrocknen, wodurch weniger häufig bewässert werden muss. Nicht zuletzt werden bei der Umsetzung der Mulchauflage in Form einer Flächenkompostierung auch kontinuierlich Nährstoffe zur Versorgung der Gemüsekulturen freigesetzt.

Im Anschluss werden die Gemüsekulturen wie Rote Beete, Lauch, Zucchini oder Zuckermais mit dem selbst entwickelten MulchTec-Planter gepflanzt. Nach deren Ernte im Herbst folgt wieder das Roggen-Erbsen-Wicken-Gemenge als Winterzwischenfrucht. Diese Vorgehensweise wiederholt sich in den folgenden Jahren: Zwischen Mai und September stehen Gemüsearten wie Salate, Kräuter, Zwiebeln, Bund ­ und Lagermöhren sowie Pastinaken, während über den Winter die Zwischenfrüchte Nährstoffe und Organik auf den Flächen halten und als Mulchauflage für das kommende Jahr heranwachsen. Im siebten und letzten Jahr schließt die Fruchtfolge schließlich wieder mit einem „Biomassejahr“. Somit entsteht über die ganze Rotation ein deutliches Plus bei der TM-Bilanz.

Die Technik, um das Gemüse in die geschlossene Mulchdecke zu pflanzen, hat live2give in den vergangenen Jahren selbst entwickelt und immer weiter optimiert. Mit dem MulchTec-Planter wird direkt in den unbearbeiteten, durchwurzelten und bedeckten Boden gepflanzt. Für die Maschine reicht ein Traktor zwischen 60-85 PS aus, Auswahlkriterium ist lediglich, dass das Gewicht von rund 1,6 t (Maschine, Pflanzmaterial und vier Personen) gehoben wird. Auf den Flächen der live2give wird diese Technik heute bei allen Kulturen (außer Möhren) genutzt.

Die Schneidscheiben der zapfwellenbetriebenen Maschine schneiden bei der Überfahrt zunächst die Mulchschicht auf. Angetrieben werden diese von 48-Volt­Elektromotoren. Auf der vierreihigen Maschine werden die Jungpflanzen in eine Revolvertrommel eingelegt und gelangen über ein Fallrohr zum Pflanzschar in den Boden. Die Blätter der Jungpflanzen werden mit einem Fingerrad aufrecht gehalten, sodass die Pflanzen nicht umkippen, bis sie von den Andruckrollen angedrückt werden und die Mulchschicht wieder verschlossen wird. Pneumatikzylinder regeln den Druck der Andruckrollen und können über ein Traktorterminal an den Bodenzustand angepasst werden. Im Nachlauf werden die Jungpflanzen über Schläuche gegossen, um sicher anzuwachsen. Für eine optimale Standraumverteilung werden die Setzlinge im Dreieckverband gepflanzt.

Optional kann ein Düngerkasten für eine Unterfußdüngung aufgebaut werden. Dies kann vor allem stark zehrenden Kulturen in der Jugendentwicklung den nötigen Anschub geben, bis die Mineralisierung des Mulches beginnt. „Die Mulchschicht sehe ich eher als Kopfdüngung, da der Stickstoff nicht sofort verfügbar ist“, erklärt Storch. Er kalkuliert für einen Zeitraum von zwölf Wochen bei einem C/N-Verhältnis von 12 etwa 50 % N-Freisetzung, während ab einem C/N-Verhältnis von 35 kaum noch Stickstoff mobilisiert wird.

Die Höhe der Unterfußdüngung ergibt sich wie folgt: N-Bedarf abzüglich Nmin­-Gehalt im Boden, verfügbarer N aus der Mulchschicht und N-Nachlieferung aus dem Boden. Eine Anschubdüngung ist insbesondere bei Starkzehrern wie Kohl nötig. Dabei werden entweder Phytoperls (12 % N) oder Pflanzpellets (6 % N) gegeben. „Wir bringen insgesamt um die 90 kg N/ha über Handelsdünger in die Fruchtfolge ein“, erklärt Storch. Generell ist zu empfehlen, empfindliche Kulturen erst nach den letzten Frösten in den Mulch zu pflanzen. Nach dem Streuen von Silagemulch sollten zudem vor der Pflanzung etwa zehn Tage verstreichen, um Ausgasungsschäden zu verhindern.

Den MulchTec-Planter hat der Betrieb seit 2012 in Eigenregie entwickelt. Zunächst sollte die Produktion an eine andere Firma ausgelagert werden, „was aber nicht zufriedenstellend funktionierte“ wie Storch erklärt. So entschied man sich letzten Endes, die Fertigung selbst in die Hand zu nehmen. Heute ist der Maschinenbau eine nicht unwesentliche Sparte von live2give geworden, mittlerweile wurde gar noch eine weitere Maschine für die Frässaat von Zwischenfrüchten entwickelt. Um ein Saatbett für die Zwischenfrüchte zu erzeugen, mussten bis­ lang Ernterückstände und Restmulch eingearbeitet werden, so dass in der Folge das Gemenge per Drillsaat in den Boden gebracht werden konnte. Dies hatte zur Folge, dass der Boden über Winter nicht bedeckt war und auch das Bodenleben wieder dezimiert wurde. „Wir standen vor der Frage, wie bekommen wir die Samen unter die Restmulchschicht, ohne den Boden zu bewegen? Ziel war es, das Saatgut in Frästiefe (ca. 2-3 cm) auf den wasserführenden Horizont zu legen und es dann wieder mit Mulch zu bedecken“. erklärt Johannes Storch.

So wurde in den vergangenen Jahren an einer Technik für die Mulch-Frässaat gearbeitet, die mittlerweile einsatzbereit ist. Als „Grundmaschine” dient eine Umkehr­ fräse des italienischen Herstellers Forigo, die mit einer Walze vorne und hinten für die Höhenführung sowie einer Säschiene modifiziert wurde. Die Fräse unterschneidet Ernterückstände, Restmulch und aufkommende Beikräuter mit überlappenden Winkelmessern ganzflächig und sehr flach. Das organische Material wird im Inneren der Maschine nach oben geleitet und hinter der Fräsachse wieder abgelegt. Dabei entsteht ein Raum, der vom Materialfluss frei bleibt. In diesem Bereich wird das Saatgut pneumatisch über eine Säschiene eingebracht und unter das Mulchmaterial abgelegt, die Farmflex­Walze drückt anschließend Samen und Mulchmaterial an. Seit der Saison 2020 wird die Frässaat der Zwischenfrüchte auf allen Flächen angewendet. Die Technik gestattet eine mechanische Bekämpfung der Altverunkrautung, wobei gleichzeitig das Mulchmaterial weitgehend an der Bodenoberfläche bleibt.

Der Beikrautdruck hat durch die dauerhafte Mulchauflage in den vergangenen Jahren auf den Flächen deutlich abgenommen . Insbesondere samenbürtige Beikräuter haben bei dem System nur geringe Chancen, sich zu entwickeln. „Die Samen werden zudem erst durch eine intensive Bearbeitung zum Keimen angeregt“. sagt Storch. Anders sehe es bei Wurzelbeikräutern wie Quecken und Disteln aus. Hier muss vor der Anlage des Mulchsystems darauf geachtet werden, dass die Flächen frei davon sind. ,,Durch Fahrspurverschiebungen haben sich beispielsweise auf einer Fläche Verdichtungen verschoben, so dass die Gänsedistel zum Problem wurde. Dort mussten wir in der Folge mit dem Tiefenlockerer eingreifen, um die Rhizome auf die Bodenoberfläche zu kämmen, damit sie vertrocknen. So einen Eingriff wollen wir eigentlich vermeiden”. führt Storch aus. Deshalb stellte der Betrieb ab 2018 auch auf ein RTK-Lenksystem und „Controlled Traffic Farming”(CTF) – die Arbeit in festen Fahrgassen – um. „ Das wirkte sich sehr positiv auf die Regulierung der Wurzelbeikräuter aus. Die Mulchdecke muss stets geschlossen sein, weshalb ein präzises Streuen sehr wichtig ist, da jede Lücke Beikraut bedeutet“, sagt Storch. Mit der neuen Frässaat für die Zwischenfrüchte unterschneidet er die Flächen zudem nur flach und erzeugt damit quasi ein dauerhaftes falsches Saatbett, mit dem Ziel, das Beikrautpotenzial weiter zu verringern. Durch das trockenere Kleinklima über dem Mulch wird zudem die Gefahr pilzlicher Krankheiten reduziert. Auch halten sich in der Mulchschicht mehr Nützlinge als auf blankem Boden auf, potenzielle Schädlinge werden dadurch besser im Zaum gehalten.
Auch Schnecken sind laut Storch entgegen den Erwartungen stark zurückgegangen. Die hohe Population an Laufkäfern unter der Mulchschicht hat die Eigelege offenbar dezimiert. Hinzu kommt, dass durch die ausbleibende Bearbeitung und die ständige Bedeckung der Boden sehr weich ist und sich keine Risse mehr bilden, welche den Mollusken einen Rückzug bieten. Eine gewisse mechanische Regulierung erfolgt zudem durch den Schlegelmulcher, wenn morgens – vor dem Bienenflug – die Zwischenfrucht abgeschlegelt wird.

Der Gemüseanbau auf den Flächen der live2give gGmbH soll resilienter gegenüber dem sich ändernden Klima sein. Starkregen wird durch den Mulch gebremst und sickert auch leichter in den porösen Untergrund ein, in Trockenperioden wiederum bleibt die Feuchte im Boden besser erhalten. Die Mulchauflage hält das Wasser zurück, bringt aber auch keines extra dazu. Aufgrund der vergangenen trockenen Jahre wurde deshalb auch in Bewässerung investiert. „Wir haben jetzt einen Brunnen, Wassertank und Regenmaschinen. Da können wir, wenn es trocken bleibt, entsprechend reagieren“, sagt Storch. Insgesamt spart die Mulchauflage aber Wasser ein, da das Wasser nur über das Blatt (Transpiration) und nicht mehr unproduktiv über den Boden verdunstet. Die Gemüsekulturen werden nach dem Pflanzen gut angewässert und wachsen sicher an, der Wasserbedarf steigt erst wieder beim Einsetzen des Massenwachstums.

„Unser Ziel war ein intensiver Bio-Gemüseanbau bei gleichzeitigem Bodenaufbau“, erklärt Johannes Storch. Dies habe man mittlerweile geschafft. So ergeben die regelmäßigen Analysen nach Kinsey, dass sich der Humusgehalt auf den Flächen durch den intensiven Mulcheinsatz innerhalb von vier Jahren um bis zu 1,2 Prozent erhöht hat und die Nährstoffbalance – wie von Kinsey postuliert – im richtigen Verhältnis ausgeglichen werden konnte. Gleichzeitig wurde die Bearbeitungsintensität auf den Flächen zurückgefahren, wodurch sich das Bodenleben aufbauen konnte. So wurde in einem Versuch mit unterschiedlichen Bodenbedeckungsgraden bei der angewendeten Variante eine deutlich erhöhte Regenwurmpopulation pro m² festgestellt: ohne Mulch 122, gewalzte Zwischenfrucht 214, Transfermulch 270 und Kombimulch (lnsitu- plus Transfermulch) 356. Als weiteres Plus bilden die Pflanzen unter der Mulchschicht mehr Feinwurzeln, ein Zeichen für Ammonium­ Ernährung und damit eine bessere Ausnutzung des Stickstoffs.

„Wir erzeugen heute intensiv Gemüse, Biomasse und Bodenfruchtbarkeit auf unseren Flächen“, erklärt Storch und fügt hinzu, dass der Betrieb die Erträge in den vergangenen Jahren deutlich steigern konnte. Das liegt auch an der Tatsache, dass durch das Wegfallen der mechanischen Beikrautregulierung optimale Pflanzdichten erreicht werden konnten. Bei Porree beispielsweise konnte die Pflanzdichte von 13 auf 23 Pflanzen pro m² erhöht werden. Durch die zwei Biomassejahre in der Fruchtfolge wird zwar Intensität aus der Fruchtfolge herausgenommen, doch können dafür in den anderen fünf Jahren laut Storch Erträge eingefahren werden, die an ein konventionelles Niveau heranreichen. „Bei Porree ernten wir zwischen 5-8 kg/ m² bei Möhren 700 dt/ha und beim Rosenkohl zwischen 200-260 dt/ha“, sieht Storch den Betrieb auf einem guten Weg.

Bei der Leistungs- und Kostenrechnung für Porree im Mulchverfahren im Vergleich zum herkömmlichen Bio-Verfahren fallen folgende Faktoren auf:

  • Kosten für Düngemittel können halbiert werden
  • Lohnkosten um 25 % gesenkt
  • Beregnungskosten werden reduziert
  • fixe Maschinenkosten steigen durch höhere Anschaffungskosten von Technik
  • Flächenkosten steigen durch Flächenbedarf für Biomasseproduktion
  • Die Pflanzdichte bei Porree kann um 35 % erhöht werden, wodurch Jungpflanzenkosten steigen.
  • Dafür steigen aber auch die Erträge um mindestens 35 %, was die Mehr­ kosten kompensiert.

Die Vollkosten beider Systeme sind durch die genannten Faktoren beinahe identisch, jedoch ermöglicht das Mulchsystem durch die höheren Erträge einen gesteigerten Gewinnbeitrag. Wenn man jedoch gleiche Pflanzdichten und Erträge miteinander vergleicht, ergeben sich im Mulchsystem um 17 % reduzierte Produktionskosten.

Als gemeinnützige Gesellschaft hat sich die live2give gGmbH dem Ziel verschrieben, an gesunden Lebensmitteln und gesundem Boden zu forschen und die gewonnenen Erkenntnisse auch einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Nach über zehn Jahren konnten mittlerweile überzeugende Ergebnisse mit dem Mulchanbau von Biogemüse erzielt werden. Zugute kommen dem Betrieb dabei sicherlich die Mitarbeiterstruktur und das positive Arbeitsklima. Technik und Gemüsebau werden im ständigen Austausch optimiert, so dass die Ziele, neben hohen und stabilen Erträgen gleichzeitig den Boden auf­ zubauen, in die Tat umgesetzt werden konnten. Ein wichtiger Aspekt ist dabei auch die Senkung des Handarbeitsaufwandes für das Hacken und Jäten von Beikräutern. Die dauerhafte Durchwurzelung und Bedeckung des Bodens haben somit ein großes Potenzial, um hochwertiges Biogemüse zu produzieren.

Hermann Krauß
Dipl.-Ing. agr. / Redakteur
LUMBRICO

Inspiriert von der Natur: Innovative Mulchpflanztechnik im Gemüseanbau

Inspiriert von der Natur:
Innovative Mulchpflanztechnik im Gemüseanbau

Johannes Storch

Johannes Storch

Bodengarre

Für eine gute Garre muss der Boden zunächst aufgebaut werden.

Hofladen

Mit einem Hofladen, einer angeschlossenen Bäckerei und einer Lebensmittelmanufaktur startete der Betrieb Ende der 1990er Jahre.

Transfermulch

Mahd der Mulchflächen zur Gewinnung von Transfermulch.

Bio-Gemüsehof Dickendorf Team

Das Team des Bio-Gemüsehofs in Dickendorf

Gewächshaus

Mittlerweile stehen auch rund 2000 qm Gewächshausfläche auf dem Betriebsgelände.

Mulchstreuer

Ausbringen des Transfermulchs auf den Beeten

Grühnkohl mit Mulchauflage.

Mittlerweile wird der MulchTex-Planter auch im Lohn auf anderen Betrieben eingesetzt.

MulchTec-Planter

Grünkohl mit Mulchauflage

Frässaat-Technik

Funktionsprinzip der neu entwickelten Frässaat-Technik.

Feinwurzeln

Seit 2020 wird die Frässaat derZwischenfrüchte auf allen Flächen angewendet.

Frässaat

Unter der Mulchschicht findet man oft Feinwurzeln, ein Zeichen für Ammoniumernährung der Pflanzen.

Paprika

Paprika im Gewächshaus (Ende Oktober).

Zwiebeln im Mulch

Zwiebeln im Mulch.